Frank Schäffler

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Der Neofeudalismus verhindert den Aufstieg

Photo by Brad Barmore on Unsplash

Der politische Mythos der Nachkriegszeit und insbesondere der späten 1960er Jahre war das Aufstiegsversprechen. Der gesellschaftliche und ökonomische Aufstieg durch individuelle Leistung sollte für jeden möglich sein. Das Instrument dafür war unter anderem eine große Bildungsoffensive. Viele Hochschulgründungen fielen in diese Zeit. Das BAföG und die Erleichterung des Hochschulzugangs waren dafür weitere Instrumente. Diese gesellschaftliche Öffnung war verbunden mit der Zusage, dass jeder alles werden könne, dass der individuelle Erfolg von der eigenen Leistung abhängig sei.

Diese Vorstellungen orientierten sich an den Wurzeln des deutschen Liberalismus, denn dieser ist eine Bewegung von unten. Seinen historischen Ursprung hat er hierzulande im Vormärz des 19. Jahrhunderts, als die Bürger gegen Verkrustung, Standesdünkel und die Privilegien Weniger aufbegehrten. Es war ein Aufstand für breite Schichten der Bevölkerung, die bitterarm waren und deren Gesundheitsversorgung katastrophal war. Eine enorme Bevölkerungsentwicklung verschärfte die Situation.  Allein zwischen 1800 und 1900 wuchs die Bevölkerung in den Grenzen des Deutschen Reiches von 24,5 Millionen auf 50,6 Millionen. Die Bauernbefreiung und die Freizügigkeit führte zu einer Sogwirkung in die Städte, die mit Hunger und Wohnungsnot einherging. Dieser enormen Bevölkerungsentwicklung standen die Privilegien der Besitzstandswahrer im Wege: Berufsverbote, Zölle und staatliche Monopole verhinderten den Aufstieg aus dem Elend. So war die Ausübung eines Gewerbes ein Konzessionsrecht, das der jeweilige Landesherr vergab. Erst mit der Reichsgründung 1871 wurde die Gewerbefreiheit deutschlandweit Gesetz und zu einer entscheidenden Basis für den gesellschaftlichen Aufstieg breiter Schichten und die sukzessive Bekämpfung der Armut. Auch das Eintreten Liberaler für den Freihandel diente der Bekämpfung der Armut. Schutzzölle verhinderten den freien Warenaustausch und machten Getreide und damit Brot teuer. Viele Menschen verhungerten in dieser Zeit. Der Abbau von Zöllen diente daher im Wesentlichen den Armen und Mittellosen.

Die Erfüllung des Aufstiegsversprechens hing eng zusammen mit dem Ideal der Selbsthilfe. Es ging nicht mehr darum, Armut zu verwalten, sondern sie zu beenden. Es etablierte sich ein „Do-it-yourself-Ethos“, der Vorschuss-, Darlehens- und Konsumvereine hervorbrachte. Der Liberale Hermann Schulze Delitzsch war der entscheidende Wegbereiter der Genossenschaftsidee. Sein politisches Engagement für die liberale Deutsche Fortschrittspartei im Reichstag führte zum ersten Genossenschaftsgesetz, dessen Grundlagen bis heute Gültigkeit haben. Die Liberalen waren der bürgerliche Teil der Arbeiterbewegung. Sie organisierten sich im Kongress deutscher Volkswirte. Ihr erster Vorsitzender Viktor Böhmert bezeichnete die Berufsfreiheit als „eines der ersten Menschenrechte – die Freiheit der Arbeit.“

Liberale, die mit der Deutschen Fortschrittspartei eng verbunden waren, gründeten damals Arbeitervereine, deren Anspruch es war, Bildung und Wissen zu vermitteln, um gesellschaftliche Unterschiede auszugleichen. Ziel und Anspruch waren der wirtschaftliche Aufstieg. Der Tüchtige könne so vom Arbeiter zum Unternehmer werden.

Der Liberalismus war schon immer eine Bewegung der Benachteiligten, der Unterdrückten und des Aufstiegs aus der Unmündigkeit. Der heutige Wohlfahrtsstaat ist dagegen neofeudalistisch. Er wirkt wie der Obrigkeitsstaat des frühen 19. Jahrhunderts: Er verhindert die Überwindung der Armut, zementiert sie und behindert den gesellschaftlichen und ökonomischen Aufstieg.

Ein wesentlicher Grund dafür: Die Belastung für die Bürger bleibt historisch hoch. Und das ist nicht nur ein Befund für Gutverdiener. Paradoxerweise belastet der Staat den Geringverdiener höher als den Gutverdiener. Während jemand mit 7.000 Euro Einkommen für eine Gehaltserhöhung eine Abgabenbelastung von 44 Prozent zu schultern hat, führt beim Mindestlohnverdiener die Gehaltserhöhung zu einer Abgabenbelastung von 47 Prozent. Von hundert Euro zusätzlich können Mindestlohnverdiener lediglich 53 Euro behalten. Der Rest geht an den Finanzminister für Lohnsteuer und Soli (27 Prozent) sowie an die Sozialversicherungen (20 Prozent).

Heute verhindert der Staat erneut den gesellschaftlichen Aufstieg. Gering- und Normalverdiener haben faktisch keine Chance voranzukommen. Sie sind gefangen im Abgabensumpf. Das ist unmoralisch. Wie soll eine Kassiererin im Supermarkt, ein Auszubildender oder ein Industriearbeiter jemals materiell vorankommen, wenn am Ende des Monats nichts übrigbleibt und man wieder angewiesen ist auf die Umverteilungsapparate des Staates, die einem huldvoll die ein oder andere Wohltat zuweisen?

Und selbst wenn etwas übrigbliebe, gibt es völlig falsche Anreize für die Vermögensbildung in Deutschland. Notwendig wäre ein Volk von Aktionären, die Eigentum an Unternehmen halten. Stattdessen sind wir ein Volk ohne Eigentum und seit einigen Jahren auch ohne Zinseinkünfte, dem massenweise Altersarmut droht. Lediglich 20 Prozent der Bürger halten Aktien und wir haben international eine der schlechtesten Quoten an Wohneigentum. Ein Volk von Eigentümern würde die Selbstverantwortung stärken, das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge fördern und durch bessere Renditen das Erreichen der Wünsche und Träume jedes Einzelnen erreichbar machen. Stattdessen sind gewaltige Summen gebunden in dem Versprechen auf Rentenansprüche, die wohl kaum erfüllt werden können.

Wo ist Aufstiegsversprechen gegenüber vielen kleinen Selbständigen – ohne Stabsabteilung und Apparat? Beim türkischen Gemüsehändler der durch die „Bonpflicht“ gequält wird, die Stunden seines 450-Euro-Jobbers wöchentlich dokumentieren muss und den Müll in acht Fraktionen trennen und entsorgen soll. Beim Freelancer, der sich gerade selbständig gemacht hat und ständig auf der Hut sein muss, nicht zum „Scheinselbständigen“ zu werden, weil er aktuell nur einen Auftraggeber hat und deshalb bald in der gesetzlichen Rentenversicherung zwangsversichert wird. Und bei der selbständigen Reinigungskraft, die nachmittags nicht arbeiten kann, weil sie als alleinerziehende Mutter keine Betreuungsmöglichkeiten für ihr Kind bekommt, aber es partout allein schaffen will. Denn die öffentlich organisierte Kinderbetreuung versagt, während ihr zugleich nicht genug Geld vom Gehalt übrigbleibt, um selber einen Platz zu finanzieren.

Und wo ist das Aufstiegsversprechen in der Bildung? Kann es für Kinder aus bildungsfernen Schichten erfüllt werden? Erfüllt unser überwiegend staatlich organisiertes Bildungssystem diesen Anspruch? Wie kann es sein, dass das mit immer mehr öffentlichen Mitteln ausgestattete Schulsystem immer noch daran scheitert? Fachfremde Vertretungsregelung und Stundenausfall schaden gerade den benachteiligten Kindern. Sie haben meist keine Möglichkeit für privat finanzierte Nachhilfe. Und die Selbsthilfe im Sinne eines Schulze-Delitzsch wurde durch den staatlichen Paternalismus im Keim erstickt.

Wo ist das Versprechen, dass jeder in unserem Land werden kann, was er will, wenn er sich anstrengt? Ist es heute noch möglich, buchstäblich vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden? Der heutige Wohlfahrtsstaat ist leistungsfeindlich und ungerecht. Es behindert den gesellschaftlichen Aufstieg derer, die es wollen, aber nicht dürfen. Dabei ist gerade dies das Lebenselixier einer offenen Gesellschaft. Das Aufstiegsversprechen, jener Kern-Ethos des Liberalismus, will eine Gesellschaft ermöglichen, in der jeder, unabhängig von seiner Herkunft, seinem Geschlecht, seinem Aussehen oder seiner Religion die Möglichkeit hat, die eigenen Lebensziele zu erreichen. Das derzeitige System in unserem Land hemmt allenthalben den unternehmerischen Geist und schränkt durch ein Umverteilungssystem aus der linken in die rechte Tasche selbstbestimmtes Leben zunehmen ein. Es zementiert den Status quo der Bürger und lähmt ihre Selbsthilfekräfte. Diesen Neofeudalismus müssen wir endlich überwinden!

 

Der Gastbeitrag erschien in einer gekürzten Version in der Welt am Sonntag.

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