Gastbeitrag für „GoingPublic Magazin“
März 2011
Als der Deutsche Bundestag 1998 über die Einführung des Euro abstimmte, waren die drei Säulen der Währung klar. Die erste Säule war die unabhängige Zentralbank, die in der Tradition der Deutschen Bundesbank in erster Linie der „Preisstabilität“ verpflichtet sein sollte. Daneben sollten als zweite Säule die Konvergenzkriterien für fiskalische Stabilität sorgen, indem die Teilnehmerländer ihre gesamtstaatliche Verschuldung sowie ihre Neuverschuldung in engen Grenzen halten sollten. Und drittens sollte kein Land für die Schulden eines anderen Landes haften oder für diese Schulden eintreten. Diese Nichtbeistandsklausel in Artikel 125 der „Verträge über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) wurde spätestens am 7. Mai des vergangenen Jahres über Bord geworfen.
Im Wege eines kollektiven Rechtsbruchs haben die Finanzminister der Eurogruppe am Abend des 7. Mai 2010 gemeinsam entschieden, nach der „Rettung“ Griechenlands, nunmehr mit einem zweiten Rettungsschirm in Höhe von bis zu 750 Mrd. Euro den drohenden finanziellen Kollaps abzuwenden. Nach dem Motto: „Not bricht jedes Gebot“ hat die französische Finanzministerin Christine Lagarde im Dezember 2010 in der Süddeutschen Zeitung offenherzig zugegeben, beide Rettungsschirme seien „im Lissabon-Vertrag nicht vorgesehen, wir sind über die bestehenden Regeln hinausgegangen“.
Die zweite Säule, die Konvergenzkriterien, hat nie funktioniert. Deutschland hat selbst 2003 die Kriterien verletzt und gemeinsam mit Frankreich 2005 darauf hingewirkt, dass weitere Ausnahmen zugelassen wurden. Griechenland hat die Konvergenzkriterien faktisch nie eingehalten. Die Hellenen haben sich bereits mit gefälschten Zahlen in den Euro gemogelt und die Staatengemeinschaft hat dennoch zugeschaut. Insgesamt, so rechnet Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn in einem Gutachten für die FDP-Bundestagsfraktion vor, wurde das Neuverschuldungskriterium des Maastrichter-Vertrages seit Einführung des Euro 73 Mal gerissen, ohne dass dies jemals Sanktionen gegen die „Sünder“ zur Folge hatte. Jedoch, nur weil man die Gartentür auflässt, heißt das nicht dass ein Dritter die Wohnung ausrauben darf. Rechtsbruch ist in Europa zum Kavaliersdelikt geworden.
Aber auch die erste Säule des Euro, die Unabhängigkeit der EZB und ihre auf Preisstabilität ausgerichtet Politik, was immer das auch ist, hat unter ihrem Präsidenten Trichet mehr als gelitten. Als der EZB-Rat am 10. Mai 2010 entschied, neben einer qualitativen Lockerung der Geldpolitik, auch eine quantitative Lockerung einzuleiten, war der Damm zur Inflationsbekämpfung gebrochen. Ex-Bundesbankpräsident Schlesinger hat dies als „Überschreiten des Rubikons“ bezeichnet. Und der wissenschaftliche Beitrat beim Bundeswirtschaftsminister hat Anfang dieses Jahres in einem Gutachten festgestellt, dass alle großen Inflationen seit dem 1. Weltkrieg mit der Monetarisierung von Staatsschulden durch die Notenbanken einhergingen.
Trichet hat diesen Tabubruch eingeleitet und gegen die Stimme von Bundesbankpräsident Weber durchgesetzt. Der Abgang Webers als Bundesbankpräsident ist deshalb ein Zeichen für die „mediterane“ Ausrichtung des Euro. Der Einfluss Deutschlands auf die Geldpolitik der EZB wird zunehmend schwinden. Mit dem designierten EZB Präsidenten Mario Draghi aus Italien und seinem portugiesischen Vize Vitor Constancio wird dies auch personell unterstrichen. Wenn EZB-Volkswirt Jürgen Stark 2014 aus dem Direktorium der EZB ausscheiden muss, ist die größte Volkswirtschaft in Europa, deren Notenbank 28 Prozent des Kapitals der EZB hält, im obersten Entscheidungsgremium der EZB nicht mehr vertreten. Im EZB-Rat hat Deutschland neben den 16 anderen Notenbankpräsidenten lediglich eine Stimme.
Die EZB kommt aus ihrer selbstverursachten aussichtslosen Situation nicht mehr heraus. Deshalb drängt Präsident Trichet die Eurostaaten den Rettungsschirm zu verdoppeln und in seinen Aufgaben zu verändern. Den Ankauf von Staatsanleihen soll künftig der Euro-Rettungsschirm (EFSF und EFSM) übernehmen. Doch das wäre das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“. Es ist völlig egal welches Instrument zur Sozialisierung von Staatsschulden im Euroraum genutzt wird. Es ist immer falsch. Notwendige Korrekturen und Anpassungsmaßnahmen werden hinausgezögert. Die Schuldenkrise wird zum attraktiven Geschäftsmodell für findige Investoren, insbesondere Banken. Das Geschäftsmodell lautet: Investiere in hochrentierliche Anleihen der Schuldenstaaten und refinanziere dich für ein Prozent bei der EZB – und dies alles ohne Risiko. Haftung und Verantwortung gehören in einer Marktwirtschaft unweigerlich zusammen. Wer diesen Zusammenhang verletzt, pervertiert die marktwirtschaftliche Ordnung.
Die EZB akzeptiert im Rahmen ihrer qualitativen Lockerung diese „Schrottpapiere“ nicht nur als Sicherheiten, um frisches Zentralbankgeld auszureichen, sondern kauft diese Papiere auch noch auf, inzwischen fast 80 Mrd. Euro. Rechenschaft ablegen muss die EZB dafür nicht, sie ist ja „unabhängig“. Zwar will sie die Ausweitung der Zentralbankgeldmenge kompensieren, doch dies gelingt ihr in der Praxis immer weniger.
Wir sind noch nicht so weit wie die amerikanische Notenbank FED, die inzwischen 40 Prozent des Haushaltsdefizits von 1,5 Billionen US-Dollar monetarisiert und weltweit verstreut, dennoch besteht die Gefahr, dass diese Art der Haushaltsfinanzierung zum System wird.
Ludwig von Mises hat dies bereits 1964 in seinem Aufsatz „Zukunft des Dollar – Zukunft der Demokratie“ beschrieben: „Doch heute ist in den Vereinigten Staaten das Defizit zum System erhoben. Die Vorstellung, dass man ohne Defizit auskommen könne, wird als längst abgetaner Aberglaube verspottet. Wehe dem, der darauf hinweist, dass Defizit Inflation bedeutet. Unter Inflation versteht die offizielle Sprache nicht eine gewaltige Vermehrung der Geldmenge, sondern was die unausweichliche Folge einer derartigen Vermehrung ist: die fortschreitende Verteuerung aller Waren und Dienstleistungen.“
Das dies nicht nur Vermögen vernichtet, Preise verzerrt und die Marktwirtschaft untergräbt, ist sicher. Viel schlimmer ist die schleichende Zersetzung der Mitte der Gesellschaft. Wenn die Mittelschicht, also der Arbeiter oder der Handwerker, nicht mehr verlässlich für ihr Alter vorsorgen kann, die Kinderausbildung nicht mehr ohne ruinösen Kaufkraftverlust planen kann oder das tägliche Leben vom Brot- bis zum Benzinpreis durch Inflation immer „teurer“ wird, dann schwindet der Kitt der Gesellschaft und damit das Vertrauen in unser demokratische System.
Insbesondere gerät aus dem Blick, dass die tiefere Ursache der kollektiven Rechtsbrüche, die zur Griechenlandhilfe und zum Euro-Rettungspaket geführt haben, in der ungeklärten verfassungsrechtlichen Lage der EU besteht. Denn bislang ist politisch in Europa nicht geklärt, was die Europäische Union eigentlich sein soll: Lediglich ein Staatenverbund, wovon das Bundesverfassungsgericht ausgeht? Oder doch ein Bundesstaat? Oder ein Dingsdadumsda, das es den nationalen Regierungen erlaubt, sich von ihren nationalen Parlamenten zu emanzipieren?
Die Antwort auf die Überschuldungskrise von Staaten und Banken in Europa muss deshalb ein Europa des Rechts sein, das die Macht der Regierungen durch klare und allgemeine Regeln im Sinne der Herrschaft des Gesetzes begrenzt.
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