In der nachrichtenarmen Zeit um Sylvester titelte die ehrwürdige FAZ: „Finanzinvestoren kaufen Deutschland auf“. Fachleute würden für 2016 das höchste Übernahmevolumen in Deutschland seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 erwarten. Schon einmal war dies ein großes Thema: 2005 entfachte Franz Müntefering eine Debatte, in der er sogar Investoren mit Tieren, genauer mit Heuschrecken, verglich. Er sagte damals in der Bild am Sonntag. „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ Das war nicht nur geschmacklos, sondern auch unhistorisch. Doch die Kampagne des Sauerländers hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Die latente und bisweilen offen auftretende Kapitalismusfeindlichkeit in Deutschland wurde weiter bedient. Mit der Bankenkrise 2007/2008 und der dann einbrechenden Konjunktur nahm die Übernahmephantasie dann auch sehr schnell ab.
Im letzten Jahr wurden jedoch wieder für 15,7 Milliarden Euro Übernahmen in Deutschland finanziert, der höchste Wert seit 2007. Umgekehrt waren deutsche Unternehmen an weltweiten Übernahmen in einem Volumen von 189 Mrd. Euro beteiligt. Dies ist der zweithöchste Wert seit 15 Jahren.
In einer Marktwirtschaft sind Unternehmensübernahmen nichts Verwerfliches oder Schlechtes. Sie können sogar für eine produktive Entwicklung in einer Volkswirtschaft stehen. Eigentümer suchen Nachfolger, Unternehmen wollen durch Zukäufe ihre Produktangebot erweitern, in neue Märkte vordringen oder Marktanteile gewinnen. Eine stärkere Internationalisierung des Handels kann ebenfalls der Grund sein, wie auch eine Diversifizierung der Währungsrisiken eines Unternehmens.
Doch die Ursache der aktuellen Entwicklung hat weniger etwas mit der Marktwirtschaft oder dem Kapitalismus zu tun, wie seinerzeit „Münte“ unterstellt hat, sondern sie ist Ausdruck und Folge der Politik der Regierungen und ihrer Notenbanken. Die staatlichen Notenbanken sorgen durch ihre Niedrigzinspolitik und ihre Bilanzausweitung dafür, dass nicht nur die kurzfristigen Zinsen dauerhaft niedrig sind, sondern auch die langfristigen Zinsen gedrückt werden. Diese Politik subventioniert nicht nur die öffentlichen Haushalte bei den Finanzierungskosten des Schuldenberges, sondern macht auch die Finanzierung von Unternehmensübernahmen attraktiv. Die Nachfrage steigt auch deshalb jetzt enorm an, weil daraus ein fast risikoloses Geschäftsmodell wird. Nehme mit nahe null Prozent Zinsen einen Kredit auf, finanziere damit die Übernahme und verkaufe das Unternehmen nach einigen Jahren gewinnbringend. Das ist sicherlich etwas vereinfachend dargestellt, da Private Equity-Unternehmen nach einer Übernahme nicht die Däumchen drehen, sondern das Unternehmen restrukturieren und damit produktiver und effizienter machen wollen.
Doch schon die wachsende Nachfrage durch die Nullzinspolitik der Notenbanken lässt die Preise für Vermögensgüter steigen. Allein die niedrigen Kreditzinsen tragen dazu bei. Plötzlich werden Übernahmen möglich, die sich zu normalen Marktzinsen nie gerechnet hätten. Plötzlich werden Unternehmen überlebensfähig, die unter normalen Marktzinsen längst verschwunden wären. Und plötzlich werden Mondpreise für Unternehmen bezahlt, die unter normalen Markzinsen nie refinanzierungsfähig wären.
Es findet also eine künstliche Veränderung oder besser eine Pervertierung des Marktprozesses statt. Es ist keine Marktwirtschaft mehr, sondern eine staatlich verzerrte Wirtschaft, die Übertreibungen nicht kurzfristig bereinigt, sondern langfristig aussitzt. Aus einzelnen Dellen werden Klumpen einer ganzen Volkswirtschaft, die immer größer und fundamentaler werden und deren Bereinigung, hin zu normalen Zuständen, schwere Wirtschafkrisen mit sich bringen. Die Notenbanken verursachen mit ihrer Zinsmanipulation asoziales Verhalten in der Wirtschaft. Unmoralisches Handeln zu Lasten Dritter wird nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert. Wie lange geht so etwas gut? Das Platzen von Vermögensgüterblasen findet immer dann statt, wenn die Nachfrager nach Vermögensgütern nicht mehr daran glauben, dass die Investition zu Ende geführt werden kann. Das kann in Folge eines Zinsanstieges durch die Notenbank verursacht sein oder langfristig durch das Aufzehren von Kapital einer Volkswirtschaft erfolgen. Letztlich ist die DDR nicht an der Höhe der Zinsen im Inland Pleite gegangen, sondern am nicht mehr vorhandenen Kapitalstock der Volkswirtschaft. Die Wertschöpfung der DDR-Wirtschaft war zu gering, um die Erneuerung ihrer selbst zu finanzieren. Irgendwann war einfach Schluss.
Und kurzfristig ist die Situation wie in einem Schnellballsystem. Diejenigen, die zuerst einzahlen, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie durch künftige Einzahler einen Rückfluss mit Gewinn erhalten. Je spitzer die Pyramide verläuft und je länger sie anhält, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Notenbank die Zinsen auf breiter Front nicht mehr kontrollieren kann. Soweit sind wir wahrscheinlich noch nicht. Ein paar Pfeile hat Mario Draghi noch im Köcher. Doch irgendwann sind auch diese stumpf und wirkungslos. Dann steigt die Unsicherheit, Panik bricht aus und einzelne Zahlungsausfälle werden zu einem Tsunami. Deshalb gilt: Glaube nicht dem staatlichen Wetterdienst, sondern beherzige die alte Bauernregel: Geht die Sonne feurig auf, folgen Wind und Regen drauf.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Prometheus – Das Freiheitsinstitut.
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